08 Sep Verdacht auf sexuellen Missbrauch: Was tun?
Quelle: meinefamilie.at erschienen am 8.10.2017
Aus Scham oder Angst erzählen die Kinder nichts von dem, was sie sehr belastet. Woran können Eltern und andere Vertrauenspersonen also erkennen, ob ein Kind sexuellen Übergriffen ausgesetzt ist? Psychologin und Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation „Die Möwe“, Hedwig Wölfl, im Gespräch.
Wir Eltern fürchten uns oft vor dem bösen Fremden, der unser Kind auf dem Weg nach Hause ins Auto zerrt und dort missbraucht oder unserer Tochter im Park auflauert, um sie zu vergewaltigen. Ja, auch das passiert, viel häufiger ist sexuelle Gewalt allerdings im sozialen Nahraum. Die Täter können Papas, Stiefbrüder, Mitschülerinnen oder Klavierlehrer sein. Menschen, die unseren Kindern nahestehen oder von denen sie in irgendeiner Form abhängig sind.
Hedwig Wölfl, Psychologin und Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation „Die Möwe“, erzählt, dass Kinder mit solchen oder ähnlichen Sätzen zur Geheimhaltung bewegt werden:
„Du bist schuld, wenn der Papa ins Gefängnis kommt!“
„Du hast ja dafür das neue Handy gekriegt!“
„Du bist meine besondere Prinzessin und das ist unser Geheimnis!“
Aus Scham oder Angst erzählen die Kinder nichts von dem, was sie sehr belastet. Woran können Eltern und andere Vertrauenspersonen also erkennen, ob ein Kind sexuellen Übergriffen ausgesetzt ist?
Aufmerksam bei Verhaltensänderungen sein
„Es gibt nicht die eindeutige Missbrauchssymptomatik“, sagt Hedwig Wölfl. Deshalb brauche es besondere Aufmerksamkeit, gerade dann, wenn ein Kind Verhaltensänderungen zeigt, die auf den ersten Blick nicht erklärbar sind: Ist es plötzlich schüchtern und verschlossen oder im Gegenteil sehr körperbetont? Sind seine sprachliche Ausdrucksweise oder sein Verhalten auf einmal sehr sexualisiert? Klagt es über unspezifische Kopfschmerzen, über Bauch- oder Popoweh? Vielleicht immer vor oder nach dem Besuch bei den Großeltern? „Bei Drei- oder Vierjährigen sieht das natürlich anders aus als bei einem Achtjährigen oder bei einem Dreizehnjährigen“, erklärt Wölfl. Essstörungen könnten, so die Psychologin, auch ein Hinweis auf sexuellen Missbrauch sein. Denn: „Manche Jugendliche essen sich dick, um unattraktiv zu werden.“
Solche Auffälligkeiten könnten, aber müssten kein Hinweis auf sexuelle Gewalt sein. „Manches klärt sich auf“, sagt Wölfl. Die Scheidung der Eltern oder der beste Freund, der weggezogen ist, stecken dahinter. Oder: „Kinder sind in einer schwierigen Entwicklungsphase, die wieder vorbeigeht.“
Was tun bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch?
„Zuerst einmal soll man dem Kind einfach zur Verfügung stehen und sagen: ‚Ich habe das Gefühl, dass es dir nicht gut geht. Mir kommt vor, du bist so traurig/verwirrt/wütend!‘“, empfiehlt Wölfl. Andere Bezugspersonen des Kindes mit einzubeziehen und deren Einschätzung zu erfragen, sei ebenfalls hilfreich. Ist ihnen auch schon etwas aufgefallen? Kennen sie vielleicht den Grund für die Verhaltensänderung des Kindes?
„Schlecht ist es, den vermeintlichen Täter vorschnell zu konfrontieren“, warnt Wölfl. Denn sollte der Verdacht wahr sein, werde es für das Kind noch schwieriger, weil der Täter den Druck auf sein Opfer erhöhen könnte. Das erste Gebot bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch sei, sich selber Hilfe zu holen und sich bei einer Organisation wie der Möwe beraten zu lassen oder auch anonym in der zuständigen Kinder- und Jugendhilfe (Jugendamt) nachzufragen. Wölfl: „Es gilt das Prinzip: Ich muss den Kinderschutz nicht alleine herstellen!“ Nur wenn Gefahr in Verzug sei und es eindeutige (körperliche) Spuren oder Fotos gäbe, müsse man sofort die Rettung und/oder die Polizei verständigen.
Digitales Zeitalter: Neue Formen sexueller Gewalt, aber auch neues Bewusstsein
Im digitalen Zeitalter habe sich die Form sexueller Übergriffe zum Teil verändert. „Bei den 12- bis Sechzehnjährigen sind die meistverschickten Videos pornographischen Inhalts. Das begünstigt die Entstehung neuer Formen von Missbrauch“, weiß Wölfl und nennt als Beispiel Nacktfotos einer Schülerin, die in der Schulklasse herumgeschickt werden. Außerdem: „Die Täterinnen und Täter werden immer jünger und es gibt mehr sexuelle Gewalt unter Jugendlichen.“ Andererseits seien das Bewusstsein für sexuelle Gewalt und die Bereitschaft, darüber zu sprechen und den Opfern zu glauben, gestiegen. Besonders wichtig sei es, auf Institutionen und Hotlines aufmerksam zu machen, an die sich Opfer oder Angehörige wenden können.
Infos, Hilfe und Beratung:
- Rat auf Draht: Tel: 147 Notruf für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen.
- die-moewe.at: Kinderschutzorganisation mit fünf Kinderschutzzentren in Wien und Niederösterreich.
- gewaltinfo.at: Informationen und alle österreichischen Hilfseinrichtungen zu Gewalt und Missbrauch
- hinsehen.at: Stabstelle für Missbrauchs- und Gewaltprävention, Kinder- und Jugendschutz.
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