04 Jul So gut kann es funktionieren – Ein „best practice“ Beispiel zur Aufklärung in der Volksschule:
Es ist gegen Schulschluss. Am Unterrichtsplan der 9 bis 10-jährigen Kinder einer Wiener 4. Klasse Volksschule steht „Der Körper“. Spannend, es geht ja um sie selbst! Ein paar Tage später kündigt ein Signalton in der digitalen Elternkommunikationsplattform eine Nachricht der Lehrerin an, folgender Inhalt wird angezeigt:
„Liebe Eltern, am Ende der vierten Klasse ist es soweit 🙂 Im Rahmen des Sachunterrichtsthemas „Der Körper“ kommt auch die Sexualerziehung und Aufklärung auf die Kinder zu. Ich möchte Sie als Eltern da gerne vorab informieren und Ihnen transparent machen, wie wir das sensible Thema angehen werden.
Ich bin mit dem Themengebiet Skelett, innere Organe und Körperfunktionen heute eingestiegen. Im Laufe der nächsten Woche kommen wir zu Muskeln und Körperbau und damit zum Unterschied zwischen Buben und Mädchen.
Ende der Woche, am Freitag, den (…) mache ich eine separate Aufklärungsstunde nur für die Buben und eine separate Aufklärungsstunde nur für die Mädchen.
Keine Sorge bitte, ich gehe das Thema verlässlich altersgerecht an, es darf ganz viel gekichert und gelacht werden und insgesamt nehmen wir alles nicht so ernst in dieser Stunde 🙂
Wir hängen die Aufklärung an den Schwerpunkt „Liebhaben“. Gerne kann ich Ihnen das Material (nur Arbeitsblätter), das ich verwenden werde, bei Interesse vorab schicken und Sie schauen es sich durch, ob es für Ihr Kind geeignet scheint. Die Materialien sind absichtlich kindgerecht gehalten und sollen erste wesentliche, aber nicht überfordernde Infos zum Thema Aufklärung veranschaulichen.
Wenn Sie das Thema Aufklärung gerne nur in der eignen Familie besprechen möchten und Ihr Kind in der Schule nicht dabei sein soll, bitte mich vor dem oben genannten Termin zu informieren.
Mit herzlichen Grüßen, Ihre Frau Lehrerin XY“
Eine Mutter berichtet:
„Obwohl unser Kind bereits schon länger von uns Eltern aufgeklärt wurde, war ich sehr froh über diese rechtzeitige Information! So konnte ich nochmals die Gelegenheit nützen, in Ruhe das Thema „Woher kommen die Babys“ anzusprechen – ich habe festgestellt, dass immer wieder schon Bekanntes vergessen wird. Kinder filtern ganz offensichtlich Themen aus, die sie überfordern, deshalb muss man auch immer wieder Gelegenheiten zum Gespräch schaffen, in denen Kinder ihren Eltern unverkrampft Fragen stellen können. Um mein Kind auf diese Schulstunde gut vorzubereiten, habe ich nochmals mit eigenen Worten und in einer Form, die für mein eigenes Kind passend ist, über Sexualität gesprochen. So war es gestärkt für das Ansprechen des „Rote Wangen-Themas“ in der Gruppe.
Sehr herzig ist auch die Stunde selbst verlaufen: Am Heimweg berichtete unser Kind von der doch sehr aufregend erlebten Schulstunde. Wie angekündigt war viel gelacht worden, natürlich gab es peinliche Momente, aber Gefühle der Scham konnten anhand eines Plüschaffen ausgedrückt und auf diesen transportiert werden … es war dann dem Affen peinlich und nicht dem Kind, das ihn dann nehmen durfte. Viele offene Fragen konnten beantwortet werden. Das Vertrauensverhältnis, das die Kinder in vier Jahren Volksschulzeit zur ihrer geliebten Lehrerin aufgebaut hatten, bot einen guten und geschützten Rahmen, in dem sich die Kinder unbefangen ausdrücken konnten. Ich bin sehr dankbar, dass unsere Lehrerin so wertschätzend und feinfühlig an dieses heikle Thema herangetreten ist. Sie hat sich auf die körperlichen Unterschiede und die Entstehung des Lebens konzentriert, auch das Thema Menstruation wurde angesprochen – nicht selten sind auch Mädchen mit 9 oder 10 Jahren bereits davon betroffen.
Sexualität ist unseren Kindern als etwas Schönes, Kostbares präsentiert worden. Eltern waren in den Prozess aktiv mit eingebunden. So stelle ich mir gute Aufklärung in der Schule vor!“
Es ist also gar nicht so schwer…und darf gerne nachgemacht werden!
(Name der Lehrerin und Mutter sind der Redaktion bekannt)
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