Sexualität und Kindheit – Sexuelle Handlungen bei Kindern verstehen und einordnen

Sexualität und Kindheit – Sexuelle Handlungen bei Kindern verstehen und einordnen

Sexualität und Kindheit – Sexuelle Handlungen bei Kindern verstehen und einordnen

Kinder lieben es auf spielerische Art und Weise ihre kleine Welt zu entdecken. Denn Kinder sind vor allem eines: neugierig. Besonders reizvoll ist all jenes, das ihren Blicken geheimnisvoll verborgen oder sogar verboten erscheint, wie der eigene oder fremde Schambereich. Ich kann mich selbst noch an die „Doktorspiele“ meiner Kindheit erinnern und dass Aussagen meiner Eltern wie z.B. „Die Unterhose bleibt an!“ die Sphäre des Schambereiches in ein diffuses Licht gerückt und die Faszination verstärkt hat. Nun wo ich als Familienvater solche Doktorspiele selbst bei meinen Kindern beobachte, frage ich mich, wie ich diese sexuellen Handlungen verstehen und einordnen soll?

… und wie ist das jetzt mit Doktorspielen?

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Doktorspiele zwar wie jedes Spiel aufregend, aber nicht bedeutender als mein geliebtes Lego® waren. Verschiedene Gesichter beobachte ich jeden Tag, auch die Hände und Beine von Menschen um mich herum, wie sie zu unterschiedlichsten Leistungen fähig sind. Aber das andere Geschlecht ist mir fremd, und selbst mein eigenes After ist mir nicht leicht zugänglich. Würde ich als Erwachsener im Nachhinein Doktorspiele als sexuelle Handlung definieren? Nein. Weil mir das Konzept der Sexualität vollkommen fremd ist. Sexualität, wie wir sie als Erwachsene verstehen und einordnen, ist ein komplexes System, das mit biologischen, psychologischen und sozialen Prozessen zu tun hat, in dem ein realer oder imaginärer Partner in der Interaktion meiner Geschlechtsorgane eine bestimmte Bedeutung zukommt. In unserem Doktorspiel ging es aber nicht um die Beziehung zu einem Gegenüber, um Lust oder gar Fortpflanzung.

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen

Auch die Sexualwissenschaft belegt, dass Kinder vor dem neunten oder zehnten Lebensjahr aufgrund ihrer kognitiven Reife Sexualität gar nicht komplex denken können. D.h. das Kind denkt sich einen Menschen nicht als sexuelles Wesen, mit dem es Sexualität haben könnte. Dies tut ein Kind selbst dann nicht, wenn es einen Menschen nackt sieht. Denn das Kind denkt sich den anderen zwar geschlechtlich, nicht aber sexuell. Selbst dort, wo kindliche Erregung und Masturbation beobachtet wird, stellt man fest, dass diese vom Kind eher zufällig entdeckt wird, über einige Zeit anhalten kann, letztlich aber wieder verschwindet. Ob das Kind die Masturbation in einem größeren Zusammenhang von Sexualität denkt, bleibt – so die Forscher – verschlossen, da man die Motivation des Kindes nicht untersuchen kann. Als Erwachsene müssen wir also vorsichtig sein, kindliche Handlungen im Zusammenhang mit dem eigenen oder fremden Schambereich per se als sexuelles Verhalten zu definieren.

Chance zum Gespräch

Gleichzeitig bieten Doktorspiele eine große Chance: Sie bieten eine Gelegenheit als Eltern mit unseren Kindern ein erstes aufklärerisches Gespräch über den männlichen und weiblichen Körper zu führen; vorausgesetzt man entgegnet ihnen nicht nur mit der Aussage: „Die Hose bleibt an!“. Das erspart so manch peinlich-aufgesetzte Aufklärungsgespräche in der Pubertät, nicht nur für uns Eltern, auch für das Kind. Dazu bedarf es aber zuerst die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verständnis von Sexualität, wie auch ich sie führen musste. Kann ich die Geschlechtsorgane beim Namen nennen, oder mich im Bad vor meinem Partner nackt zeigen? Nur wenn unser eigener Schambereich nicht eine geheimnisvoll verborgene oder sogar verbotene Zone bleibt, können wir ein wertschätzendes Verständnis vermitteln.

Michael Bozanovic