Tyrannenkinder

Buchrezension – „Der Tyrannenkinder Erziehungsplan“

von Martina Leibovici-Mühlberger

„Der Tyrannenkinder Erziehungsplan“, das neueste Werk der bekannten Gynäkologin und Psychologin, Prof. Dr. Martina Leibovici-Mühlberger, ist 2018 erstmals erschienen und ist aktueller denn je. Warum in Zeiten digitaler Überflutung und Jugendresignation diese Thesen aufrütteln sollen, schildert die Expertin für Jugendpsychologie in gewohnt spritziger und witziger Weise. Die Ausgabe findet man im edition a Verlag.

‚Warum wir für die Erziehung ein neues Menschenbild brauchen und warum die Tyrannenkinder zu den Besten gehören können.‘ Mit diesem Untertitel, der zugegeben etwas umständlich klingt, umschreibt Leibovici-Mühlberger die beiden Kapitel ihres Buchs. Worum geht es?

Anhand praktischer Beispiele, die Leibovici-Mühlberger fast wie in einem Roman erzählt, wird die Lebenswelt Jugendlicher im überdigitalisierten, vereinsamenden und verunsicherten Heute beleuchtet. Tatsächlich aber sind für die Gynäkologin die wahren ‚Feinde‘ der Kinder direkt vor deren Nase zu finden: Sehr oft erleben die Jugendlichen zu Hause zwar Wohlstand, aber wenig Emotionen und Wertschätzung. Leibovici-Mühlberger gliedert ihre Ausführungen sowohl in den Haupt- als auch in den jeweiligen Unterkapiteln, in die Narration, in der sie selbst, höchst ironisch und unterhaltsam die Rolle des Erzählers übernimmt.

Völlige Leere – die Grundkrise der Erziehung

Und die lösungsorientierte Erklärung, wie Eltern ihrem gewohnten Irrsinn entkommen können, ohne den Nachwuchs zu überfordern und dennoch von der Brut Leistung, Mitgefühl und Partizipation an der Gesellschaft einzumahnen. Diesen elterlichen Drahtseilakt sieht Leibovici-Mühlberger heute als Grundkrise der Erziehung. Wobei wir – als Eltern – sicher zustimmen können… Tatsächlich ist im ‚anything goes – but nothing has to be‘ der Gegenwart eine völlige Leere zu verorten. So sieht es zumindest Leibovici-Mühlberger.

Leibovici-Mühlberger versteckt in ‚Der Tyrannenkinder Erziehungsplan‘ ihre eigene Meinung zu vielen spannenden Fragen der Familienplanung und der Erziehung nicht. Das ist natürlich bei einem – Achtung: Neukreation! – ‚Expertenroman‘, also der Mischung aus Sachbuch und Roman, wie er hier vorliegt, wohl auch zu erwarten. Ihre Sichtweise, z.B. zum Thema Verhütung, ist allerdings für traditionell denkende Mütter wahrscheinlich harter Tobak. So schreibt sie zur Emanzipationsforderung „Mein Uterus gehört mir“: „Ja wem denn sonst, habe ich mich immer gefragt“. In dieser Art und einer recht deutlichen Flapsigkeit ist das gesamte Buch geschrieben. Wenn wir Eltern uns auf dieses Experiment einlassen und unseren Eigenhumor schärfen, werden wir ‚Der Tyrannenkinder Erziehungsplan‘ mit viel Spaß und Genuss lesen. Im Übrigen kennt man den Ton von Prof. Leibovici-Mühlberger, wenn man sie schon gelesen oder in den vielen Medienauftritten erlebt hat. Wir sind also nicht überrascht.

Ein Anker: Definierung von Werten

Es finden sich selbstverständlich auch eine Menge Tipps in diesem Werk. Leibovici-Mühlberger ist schließlich bekannt dafür, Probleme des Alltagslebens plakativ zu beschreiben und frontale Lösungen zu präsentieren. Dabei können wir alle anerkennen: sie hat meistens Recht.

So ist sie eine große Verfechterin von Werten an sich. Den Inhalt der Werte lässt Leibovici-Mühlberger aber bewusst offen – „jedem das Seine“. Sie schreibt: „Familien sollten über Werte nachdenken.“ Denn es geht „um stabile Präferenzordnungen im Konfliktfall (…) um wirkliche Lebenshilfe für einen Selber.“ Schlussendlich reduziert sich der Outcome ihrer Praxis und Lösungen eindeutig auf ein Erziehungsziel, das aus der Mode gekommen scheint: Grenzen setzen.

So sehr wir alle nun ‚eh klar‘ sagen, so sehr werden wir Eltern wohl auch ertappt. Alles in allem ist ‚Der Tyrannenkinder Erziehungsplan‘ wirklich unterhaltsam zu lesen. Und macht Mut. Mut, seinen Kindern mehr zuzutrauen und ihnen Verantwortung zu übergeben. Für Leibovici-Mühlberger wäre damit die Welt wieder etwas mehr im Lot. Und für uns auch.

Meinerseits eine klare Leseempfehlung.

„Der Tyrannenkinder Erziehungsplan – Warum wir für die Erziehung ein neues Menschenbild brauchen und warum die Tyrannenkinder zu den Besten gehören können“, Prof. Dr. Martina Leibovici-Mühlberger, 1. Auflage, S. 335, E 2018, Verlag edition a, ISBN 978-3-99001-232-1

Katharina Nepf